Bundesgesundheitsminister Lauterbach zufolge bringe die Homöopathie keinen medizinischen Nutzen auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sachstandes. Ein kürzlich erschienener Systematic Review von Harald J. Hamre und Kolleg:innen sagt aber, dass das so nicht stimmt.
In den letzten Jahrzehnten wurden immer wieder Meta-Analysen von mehr als 180 Placebo-kontrollierten randomisierten Wirksamkeitsstudien der Homöopathie für verschiedene Indikationen mit unterschiedlichen Methoden, Ergebnissen und Schlussfolgerungen veröffentlicht. Lediglich die systematische Überprüfung dieser Meta-Analysen blieb bisher aus.
Diesem Ziel haben sich nun Harald J. Hamre und seine Kolleg:innen gewidmet. Mit der Frage „Wie ist die Wirksamkeit der homöopathischen Behandlung zu bewerten?“ haben sie entlang klarer vordefinierter Qualitätskriterien mehrere Datenbanken bis zum April 2023 auf Studien mit entsprechend hoher methodischer Qualität gesichtet und diese mittels ROBIS (Risk Of Bias In Systematic reviews) auf eine mögliche Ergebnisverzerrung durch Befangenheit oder Neigungen geprüft. So konnte statistisch der Anteil der Studien bestimmt werden, der einen signifikant positiven Effekt der Homöopathie in der Therapie verdeutlicht.
Insgesamt wurden sechs Meta-Analysen betrachtet, die jeweils zwischen 16 und 110 Einzelstudien umfassen. Die entsprechenden Studien untersuchen im Mittel 45 bis 97 Patienten, nutzen individualisierte und auch nicht-individualisierte Homöopathie und wurden zwischen 1943 und 2014 veröffentlicht. Das Risiko einer durch Befangenheit erzeugten Ergebnisverzerrung konnte für drei der sechs Meta-Analysen als niedrig eingestuft werden.
Hamre und Kolleg:innen zufolge zeigt ihr 2023 publizierter systematischer Überblick über die Meta-Analysen Placebo-kontrollierter randomisierter Wirksamkeitsstudien, dass homöopathische Therapien gegenüber Placebos klar einen signifikant positiven Effekt aufweisen, vor allem individualisierte Homöopathie. Das ist ein starker Hinweis für eine Wirksamkeit der Homöopathie über den Placebo-Effekt hinaus und weit mehr als ein persönlicher Erfahrungswert.
Efficacy of homoeopathic treatment:
Systematic review of meta‑analyses of randomised placebo‑controlled homoeopathy trials for any indication
H. J. Hamre, A. Glockmann, K. von Ammon, D. S. Riley and H. Kiene
OpenAccess auf BMC biomedcentral.com/submissions
In diesem Zusammenhang sei auch auf einen Beitrag von Univ.-Prof. Dr. med. Peter F. Matthiessen, ehem. Vorsitzender des Sprecherkreises des Dialogforums Pluralismus in der Medizin (DPM), hingewiesen, der die Gefahr einer einseitigen Betrachtung medizinischer Möglichkeiten thematisiert.
In Anbetracht zahlreicher Pauschalangriffe auf die Komplementärmedizin und insbesondere auf die Homöopathie veröffentlichte er 2018 im "Monitor Versorgungsforschung" im Namen der Mitglieder des DPM sowie verschiedener Institutionen und Unterzeichner eine Stellungnahme , in der er dargelegt, dass die Behauptung der Unwirksamkeit der Homöopathie im Hinblick auf die publizierte wissenschaftliche Evidenz nicht zutrifft.
Seit einigen Jahrzehnten setzt sich weltweit die Erkenntnis durch, dass eine vollorchestrierte Gesundheitsversorgung eine Integrative Medizin als Grundlage benötigt, wenn sie den vielfältigen und individuell unterschiedlichen Bedürfnissen der Bevölkerung und zudem einer evidenzbasierten Medizin gerecht werden will. Integrativen Medizin bedeutet eine begründete und damit nachvollziehbare Koexistenz von unterschiedlichen Denk- und Praxisansätzen. Integrative Medizin stellt ein Leitbild dar, durch das die Parteilichkeiten einzelner Denk- und Praxisrichtungen im Zusammenspiel in den Hintergrund treten zugunsten einer Integration, mit der ein unvoreingenommenes Ausschauhalten nach den je besten Therapieansätzen am individuellen Patienten assoziiert ist.
Ein monoparadigmatischer Reduktionismus führt aber – bedacht oder nicht bedacht – am Ende stets in eine totalitäre Ideologie, für die die dogmatische Ideologie alles, der Respekt vor dem Selbststimmungsrecht des Bürgers und der Achtung der Menschenwürde und des individuellen Erkenntnisstrebens nichts bedeutet.
In diesem Sinne sollten die Medizin und das Gesundheitswesen differenziert und vielfältig bleiben, um die Chancen einer multiperspektivischen Betrachtung zum Wohl der Patient:innen zu nutzen.
„Der Andere könnte auch Recht haben“
P. F. Matthiessen
Monitor Versorgungsforschung 03/2018
Ergänzend dazu zeigt der Kurzbericht Homöopathie: Nutzung und Wertschätzung in der Bevölkerung (02/2023) des Instituts für Demoskopie Allensbach, dass die Homöopathie genauso wie die Anthroposophische Medizin und die Erstattung beider Therapierichtungen in der Bevölkerung differenziert wahrgenommen werden und Vorbehalte und Skepsis trotz der Ergebnisse des oben genannten Systematic Review zugenommen haben.
Während 23 Prozent der Bevölkerung ohne Einschränkung von der Wirksamkeit überzeugt sind, sind es 14 Prozent von ihrer Wirkungslosigkeit. Die Mehrheit sieht es differenziert: 51 Prozent halten homöopathische Arzneimittel teilweise für wirksam, teilweise für nicht wirksam. Die Daten zeigen, dass es heute zwar durchaus viele Vorbehalte gegen Naturheilverfahren gibt, aber nur bei einer Minderheit eine ausgeprägte Ablehnung. Dies wird auch durch die Haltung der Bevölkerung zur Kostenerstattung für homöopathische Arzneimittel und zu einem Verkaufsverbot deutlich. Die Forderung, dass Krankenkassen die Kosten für homöopathische Arzneimittel nicht mehr erstatten sollten, da ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nicht nachgewiesen sei, wird von 20 Prozent der Bevölkerung unterstützt. 48 Prozent sprechen sich hingegen dafür aus, die Kosten zu erstatten. 32 Prozent der Bevölkerung haben in dieser Frage keine klare Position. Weit überdurchschnittlich votieren Frauen für eine Kostenerstattung: 40 Prozent der Männer, 56 Prozent der Frauen halten es für richtig, wenn Krankenkassen die Kosten für homöopathische Arzneimittel erstatten.
Insgesamt halten sich heute anerkennende und kritische Urteile die Waage.
Dieser breiten öffentlichen Einschätzung und auch der anhaltenden Homöopathie-Kritk in den gängigen Tagesmedien steht die folgende Einschätzung entgegen, dass die Konzepte der Homöopathie im akademischen Umfeld kaum kritisch diskutiert werden.
Diese Einschätzung basiert auf einem Systematic Review zur konzeptuellen Kritik an der Homöopathie, der 2023 in der 9. Ausgabe der openaccess-Zeitschrift Heliyon pulbiziert wurde.
Das Ziel der systematischen Übersichtsarbeit ist es, einen Überblick über Peer-Review-Artikel in wissenschaftlichen Fachzeitschriften zu geben, in denen die Konzepte der Homöopathie ausführlich diskutiert und kritisiert werden, da die Autoren den Eindruck hatten, dass diese Diskussionen regelmäßig die öffentlichen Medien bestimmt.
Trotz einer breiten Suchstrategie konnten nur 15 Publikationen aus einem Zeitraum von mehr als 60 Jahren ermittelt werden, die Homöopathie unter wissenschaftlichen Kriterien diskutieren. Die Kritik wird vor allem argumentativ in einem Widerspruch der Homöopathie zu aktuellen wissenschaftlichen Prinzipien und den Grundlagen der modernen Medizin, in einem Fehlen wissenschaftlicher Grundlagen oder empirischer klinischer Beweise oder ethischer Überlegungen und sozialer Folgen geführt.
Mit nur 15 wissenschaftlichen Beiträgen in mehr als 60 Jahren scheint sich die Diskussionen in den öffentlichen Medien nicht in einer entsprechenden Debatte in Fachzeitschriften widerzuspiegeln. Das heißt schlicht, dass eine kritische wissenschaftliche Diskussion über die Grundkonzepte der Homöopathie auf akademischer Ebene nicht wirklich geführt wird.
Systematic review of conceptual criticisms of homeopathy
V. M. Schulz, A. Ücker, C. Scherr, A. Tournier, T. Jäger und S. Baumgartner
Heliyon 9 (2023) e21287